Tourismusexperte Frank Herrmann (Autor von FAIRreisen) über die Sünden der Reisebranche und Wege
zu mehr Nachhaltigkeit im Urlaub
(Interview der Frankfurter Rundschau vom 12.6.17)
(Interview der Frankfurter Rundschau vom 12.6.17)
Herr Herrmann, der
Tourismus boomt. Jährlich reisen 1,2 Milliarden Menschen rund um den Globus.
Die Welttourismusorganisation (UNWTO) rechnet bis 2030 mit 1,8 Milliarden
Reisenden. Wie viel Tourismus verträgt die Erde?
Das ist schwer zu sagen. Aber an vielen Orten wird es aus
touristischer Sicht immer enger. Das zeigt sich an einen erhöhten Ressourcenverbrauch,
mehr CO2, mehr Müll, aber auch an einer touristischen Entwertung.
Was meinen Sie damit?
Viele Ziele verlieren angesichts der Touristenmassen einfach
an Authentizität und Attraktivität -beispielsweise Venedig, Barcelona, einige
Inseln im Süden Thailands, die überrannt werden, oder auch Ruinenstätten wie Machu
Picchu in Peru. Wir brauchen da eine bessere Steuerung der Tourismusströme,
damit die Orte intakt und für künftige Generationen erlebbar bleiben.
Wer bezahlt vor allem
den Preis für unser exzessives Reisen?
Das ist vor allem die Natur, das Klima und das sind ganz
unmittelbar auch die Menschen in denbereisten Ländern. Beispiel Städtetourismus:
In Barcelona werden viele Bewohner aus ihren Vierteln vertrieben, weil dort zunehmend
an Touristen vermietet wird und die Einheimischen sichdie Wohnungen nicht mehr
leisten können. Dazu kommen Lärm und Müll.
Tourismus ist doch
aber auch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor und bringt gerade den Ländern des
Südens Entwicklung – so sieht es zumindest die Reisebranche.
Wenn man nur das quantitative Wachstum einer Volkswirtschaft
sieht, stimmt das. Betrachtet man die Entwicklung qualitativ, muss man zu einem
anderen Urteil kommen. Wenn etwa Fischer für den Bau einer Hotelanlage von ihrem
Land vertrieben werden, schlägt sich das positiv im Bruttosozialprodukt
nieder. In dieser Rechnung spielt dann aber keine Rolle, dass die einheimische
Bevölkerung auf diese Weise ihre natürlichen Lebensgrundlagen verliert und
dafür allenfalls schlecht bezahlte Saisonjobs mit langen Arbeitszeiten erhält.
Wer verdient denn vor
allem am Reiseboom?
Das sind nicht in erster Linie die Zielländer, sondern vor
allem die Tourismuskonzerne, die Fluglinien, die Hotelketten und die Kreuzfahrtreedereien.
Mehr als die Hälfte des Reisepreises landet wieder in den Herkunftsländern der
Touristen. Auch über Nahrungsmittelimporte, da viele Urlauber unter Palmen
nicht auf deutsches Bier und deutsche Wurst verzichten wollen.
Ist denn
Massentourismus wie ihn viele Anbieter günstig organisieren per se ein Übel und
der Rucksackreisende grundsätzlich nachhaltiger unterwegs?
Auch der Pauschaltourist kann, wenn er sich sachkundig
macht, ökologisch und sozial verantwortlich urlauben. Und es gibt auf der
anderen Seite Backpacker, denen alles egal ist.
Im Blick auf die
ökologischen Folgen wäre eine Fahrradtour mit Übernachtung auf Zeltplätzen aber
die beste Alternative?
Da ist in der Tat eine sehr nachhaltige Art des Reisens.
Aber man kann sich in jedem Urlaubssegment für eine ökologischere Variante
entscheiden und vor allem die ganz großen Umweltsünden unterlassen.
Nennen Sie uns die
schlimmsten Vergehen.
Heliskiing zum Beispiel. Wenn Sie sich also mit dem Hubschrauber
auf Berggipfel bringen lassen, um dann durch den unberührten Tiefschnee abzufahren.
Oder der Langstreckenflug zum Startpunkt einer Kreuzfahrt in der Karibik.
Was ist eigentlich an
der Kreuzfahrtbranche, die auch 2017 weiter stürmisch wächst, so problematisch?
Die Veranstalter rechnen in diesem Jahr mit 25,3 Millionen Passagieren.
Alles! Nutznießer sind eigentlich nur die Veranstalter und
Werften, die immer mehr Luxusliner bauen. Ein krasses Beispiel dafür, dass die
Gewinne privatisiert und die ökologischen und sozialen Folgen von der
Allgemeinheit getragen werden.
Geht es etwas
genauer?
Die Schiffe produzieren jede Menge Schadstoffe und Müll. Ökonomisch
gesehen haben die bereisten Länder fast nichts davon, dass die Pötte anlegen.
Das Essen für die All-inklusive-Buffets an Bord wird in der Regel von
Deutschland aus in die Karibik geflogen. Die meisten Schiffe fahren zudem nicht
mehr unter deutscher Flagge, um Sozialabgaben und Steuern zu sparen. Die Arbeitszeiten
für die Bediensteten sind lang, die Löhne niedrig. Und zu all dem gibt es
hierzulande auch noch Subventionen für den Bau riesiger Hafenterminals, die es
für die schwimmenden Megahotels braucht.
Die UNWTO hat 2017
zum „Jahr des nachhaltigen Tourismus für Entwicklung“ erklärt. Nehmen Reisebranche
und die Politik das ernst?
Meines Erachtens nicht ernst genug. Natürlich gibt es in
solchen UN-Jahren immer eine Menge Veranstaltungen mit schönen Reden und dem
einen oder anderen Vorzeigeprojekt. Was letztlich aber immer noch zählt, ist der
Profit – und unter dieser Voraussetzung ist dann auch Nachhaltigkeit ganz
okay.
Gibt es in der
Branche Vorzeigeunternehmen, denen das Engagement für mehr Nachhaltigkeit abzunehmen
ist?
Beispielhaft würde ich das Forum Anders Reisen nennen, in dem
sich rund 140 kleine und mittlere Veranstalter zusammengetan haben, die
nachweislich auf einen nachhaltigen Tourismus setzen. Seriös sind auch die
Bio-Hotels, ein Verein, dem europaweit 90 Häuser angehören. Und es gibt in
Deutschland bereits 17 CO2-neutrale Jugendherbergen.
Können sich
Verbraucher bei ihren Urlaubsplanungen auch an Siegeln orientieren?
Da würde ich zwei nennen, die sich von reinen
Marketinginstrumenten deutlich abheben: Zum einen das deutsche Label Tour-Cert.
Geprüft werden hier alle Aspekte der Nachhaltigkeit - vom Papierverbrauch des
Veranstalters bis zum fairen Lohn für das Zimmermädchen. Und dann natürlich das
aus Südafrika stammende Siegel Fair Trade Tourism, das sich an Kriterien orientiert,
wie wir sie aus dem fairen Handel kennen.
Wenn es am Ende doch
der Langstreckenflug ist, um die schönsten Wochen des Jahres an einem
Traumstrand zu verbringen, sollte man dann den CO2-Ausstoß kompensieren –oder
ist das Ablasshandel?
Das sollte man auf jeden Fall tun. Bis es eine weltweite CO2-Steuer
oder einen funktionierenden Emissionshandel gibt, ist das eine effektive Art
und Weise, die Umweltschäden zu minimieren. Da empfehlen sich Projekte nach dem
Goldstandard von Anbietern wie Atmosfair und Myclimate, die versuchen, über den
CO 2 -Ausgleich hinaus der lokalen Bevölkerung einen Mehrwert zu verschaffen.
Die Spenden an die Klimadienstleister sind sogar steuerlich absetzbar.
Was würden Sie denen,
die bald in den Urlaub starten, noch mit auf den Weg geben?
Sie sollten sich auf jeden Fall mit dem Gastland
beschäftigen. Da gibt es hilfreiche „Sympathie Magazines“ des Studienkreises
für Tourismus und Entwicklung, die Hintergrundinformationen bieten. Ins Gepäck
gehört immer eine feste Trinkflasche und ein Stoffbeutel für den plastikfreien
Konsum. Vor Ort öffentliche Verkehrsmittel nutzen und die Klimaanlage, wenn es denn
sein muss, verantwortungsvoll einsetzen. Und zu Hause vor dem Start unbedingt alle
Stecker ziehen.
Interview: Tobias Schwab