Donnerstag, 30. Mai 2013

Untergraben Märkte die Moral?



Ja, glaubt man den Ergebnissen von Experimenten, die Ökonomen der Universitäten Bonn und Bamberg durchgeführt haben. Ihre Schlussfolgerungen werden in der aktuellen Ausgabe des Fachjournals "Science" präsentiert.

Anspruch und Realität


Theoretisch ist wohl so gut wie niemand für Kinderarbeit, Ausbeutung oder etwa tierquälerische Fleischproduktion. In der Praxis ignorieren wir diese moralischen Ansprüche aber oftmals. Dann jagen wir als Konsumenten Billigangeboten hinterher. Ernst nehmen wir die Moral bei wirtschaftlich relevanten Entscheidungen tendenziell eher, wenn wir diese alleine treffen, als wenn wir kollektiv handeln. Das konnten die Ökonomen Prof. Dr. Armin Falk von der Universität Bonn und Prof. Dr. Nora Szech von der Universität Bamberg in einem Experiment nachweisen.

Geld oder Maus?


In verschiedenen Testanordnungen wurden Hunderte Teilnehmer vor eine moralische Entscheidung gestellt: entweder auf einen bestimmten in Aussicht gestellten Geldbetrag verzichten und damit das Leben einer Maus retten, oder das Geld nehmen und die Maus opfern. Bei den Tieren handelte es sich um Mäuse, die für die Forschung nicht mehr gebraucht und eingeschläfert werden. Entschied sich eine Testperson für die Maus statt des Geldes, wurde die Maus von den Leitern der Studie gekauft. Durch das Experiment hatten die Probanden somit die Möglichkeit, aktiv Mäuseleben zu retten.

Märkte erodieren moralische Werte


Ein Teil der Probanden hatte die moralische Entscheidung für das Geld oder die Maus individuell zu treffen, andere taten dies im Rahmen einer bilateralen (ein Käufer und ein Verkäufer) oder einer multilateralen Marktsituation (größere Anzahl von Käufern und Verkäufern). Wichtigstes Ergebnis der Studie: In Marktbedingungen mit mehreren Akteuren sind wesentlich mehr Probanden bereit, Mäuse für Geld zu töten. Die Schlussfolgerung der Wissenschaftler: Märkte führen zu einer Erosion moralischer Werte.

Gemeinsam sündigt es sich leichter


Denn in Märkten mit mehreren Käufern und Verkäufern können Schuldgefühle mit anderen geteilt werden und man erfährt, dass andere auch nicht immer moralisch einwandfrei agieren. Moralisch verwerflich zu handeln, ist also in Märkten leichter. Der Einzelne kann sich rechtfertigen, nur einen geringen Einfluss auf das Geschehen zu haben, getreu dem Motto: „Kaufe oder verkaufe ich nicht, tut es jemand anderes." Dieser Umstand verliert bei moralisch neutralen Konsumgütern allerdings an Bedeutung, denn wenn man sich nicht schuldig fühlt, benötigt man auch keinen weiteren Marktteilnehmer, um sein Gewissen zu beruhigen.

Abstract in englischer Sprache: http://www.sciencemag.org/content/340/6133/707.abstract

Dienstag, 28. Mai 2013

Nachhaltige Geldanlagen im Aufwind



 Wer sein Geld anlegt, achtet zunehmend darauf, dass dies ökologisch, sozial und ethisch verantwortlich geschieht. Im neuesten Marktbericht des Forums Nachhaltige Geldanlagen (FNG) lässt sich dieser Trend belegen. Den Zahlen des FNG zufolge ist der Markt für nachhaltige Geldanlagen in Deutschland im vergangenen Jahr um 16 Prozent angestiegen. Ende 2012 betrug das Volumen nachhaltiger Geldanlagen 73,3 Milliarden Euro.


Spezialbanken haben die Nase vorn


In Deutschland liegt der Schwerpunkt nachhaltiger Geldanlagen auf Kunden- und Eigenanlagen von Spezialbanken mit Nachhaltigkeitsfokus. Bei diesen – etwa der GLS Bank, der Ethikbank oder der Umweltbank – waren im vergangenen Jahr 47,2 Milliarden Euro nachhaltig angelegt. Der Rest verteilt sich auf Mandate mit 15,8 Milliarden Euro und Investmentfonds mit 10,2 Milliarden Euro. Rund 77 Prozent dieser Gelder stammen dabei von  institutionellen Anlegern. Besonders Stiftungen investieren zunehmend in nachhaltige Geldanlagen.


Gegen Streumunition oder Antipersonenminen



Beachtenswert ist auch der Zuwachs von Investments, die ein oder zwei Ausschlusskriterien auf das angelegte Vermögen anwenden. „Auf diese Weise werden für 806,2 Milliarden Euro Investitionen in Streumunition und Antipersonenminen ausgeschlossen“, erklärt FNG-Geschäftsführerin Claudia Tober. „Diese Summe liegt um 200 Milliarden Euro über dem Wert des Vorjahres, was zeigt, dass die Finanzbranche verstärkt aktiv gesellschaftliche Verantwortung wahrnimmt. Jedoch muss betont werden, dass bei der Berücksichtigung von lediglich einem oder zwei Ausschlusskriterien noch nicht von Nachhaltigen Geldanlagen gesprochen werden kann.“


300 Jahre Nachhaltigkeit



Ob sich der positive Trend bei nachhaltigen Geldanlagen auch in diesem Jahr fortsetzt, bleibt abzuwarten. Zu wünschen wäre es, denn gerade 2013 ist für alle, die das Thema Nachhaltigkeit beschäftigt, ein besonderes Jahr. Vor 300 Jahren erlebte das Konzept Nachhaltigkeit seine Geburtsstunde. Im Jahr 1713 formulierte  der  Berghauptmann  Carl  von  Carlowitz  1713 in seinem  Werk  „Sylvicultura  oeconomica“ den Gedanken, auf einen Raubbau am Wald zugunsten eines  respektvollen  Umgangs  mit  Natur und Rohstoffen zu verzichten. 




Zum aktuellen Bericht des Forums Nachhaltige Geldanlagen:   

 


Sonntag, 26. Mai 2013

Brand- und Einsturzkatastrophe in Bangladesch: Was Verbraucher tun können – Interview Teil 2


Über tausend Menschen starben jüngst bei dem Einsturz einer Textilfabrik in Bangladesch. Viele Konsumenten sind nun verunsichert: Gibt es überhaupt Mode, bei deren Herstellung keine Menschen ausgebeutet werden? Nein, sagt Bettina Musiolek von der Kampagne für Saubere Kleidung im Gespräch mit der Sächsischen Zeitung: „Der Handel verkauft uns keine ’saubere‘ Kleidung“. Und doch können Kunden beim Shoppen auf einige Dinge achten. 

Frau Musiolek, woran können sich Kunden, die keine Blusen aus Ausbeutung tragen wollen, beim Kauf von Mode orientieren? 

Nicht am teuren Preis. Er ist keine Orientierungshilfe. Manche Fabriken nähen sowohl für kik als auch für Armani. Aber es gibt Textilanbieter, die sich unabhängig prüfen lassen, etwa von der Fair Wear Foundation. Diese Anbieter finden Sie auf der Internetseite www.fairwear.org. Und dass die Bauern einen fairen Preis für ihre Baumwolle bekommen haben, darauf verweist zumindest das Zeichen Fairtrade certified Cotton auf dem Etikett. 

Manche Textilkonzerne wie Otto oder H&M haben eigene ökosoziale Logos entwickelt. Echtes Engagement oder nur Verbrauchertäuschung? 

Das sind Nischen im Gesamtsortiment. Schöne Aushängeschilder. Vorzeigeinitiativen. Außerdem ist äußerst fraglich, was die Firmen sich da selbst für Label anheften. Wie gesagt, alles steht und fällt mit der unabhängigen Kontrolle. 

Wieviel mehr würde ein fair erzeugtes T-Shirt denn kosten? 

Die Fair Wear Foundation hat das gerade für ein T-Shirt aus China berechnet. Würde man der Näherin fort den Lohn auf ein Niveau erhöhen, das ihr ein Existenzminimum sichert, dann würde das T-Shirt bei uns um fünf Prozent teurer – also im Laden statt 29 Euro 30,57 Euro kosten. 

Sind Verbraucher hierzulande denn bereit, für faire Mode mehr auf den Ladentisch zu legen? 

Laut Umfragen ja. Man darf nicht vergessen, dass sich in den letzten 20 Jahren die Preise für Bekleidung halbiert haben. Bekleidung ist fast nirgendwo so billig wie in Deutschland. Ähnlich übrigens wie bei Lebensmitteln. Und fast nirgendwo anders auf der Welt ist der Anteil unseres Klamottenbudgets am Haushaltsgeld so niedrig. Also lassen wir mal die Kirche im Dorf. 

Viele Verbraucher stellen sich nun die moralische Frage: Weiter kaufen oder nicht. Würde ein Boykott der Kleider aus Billiglohnländern den Näherinnen helfen? 

Überhaupt nicht. Aus zwei Gründen. Die Näherinnen verlieren ihre Jobs. Unsere Partnerorganisationen in den Ländern, wo Bekleidung genäht wird, sagen ganz klar: „Wir brauchen die Jobs. Aber wir wollen in Würde arbeiten.“ Sprich: einen fairen Lohn. Der zweite Grund: Wenn wir einfach nicht kaufen, woher sollen die Ketten dann wissen, warum nicht?Wir haben als Verbraucherin Einfluss, wenn wir hingehen – nicht, wenn wir wegbleiben. 

Hätte der Druck der Konsumenten auf die Modekonzerne und Handelshäuser denn Erfolg? 

Ja. Alle Prozesse, auch das jüngste Abkommen, sind Ergebnis dieses Drucks. Wir Verbraucher haben nicht Schuld, aber wir haben ganz viel Macht. Ich sage immer: „Kaufen Sie, wo immer sie kaufen wollen, aber vergessen Sie nicht, nachzuhaken. Fragen Sie: „Was tut ihr Unternehmen, um Menschenrechte sicherzustellen?“ Sie können auch bei Ihrem Arbeitgeber nachfragen, wo und wie er Uniformen, Schutzkleidung, Arbeitshosen, Arztkittel, Pfarrertalare oder Standesbeamtenanzüge einkauft. Oft sind das öffentliche Einrichtungen, die da einkaufen. Und die sollten ihrer Vorbildfunktion gerecht werden und verantwortlich shoppen. Oder loben Sie. Ich war gestern in einem H&M-Kaufhaus und habe dem Verkäufer gesagt, dass ich es toll finde, dass H&M als drittes Unternehmen dem Sicherheitsabkommen in Bangladesch beigetreten ist. Natürlich hat mich der Verkäufer blöd angeschaut. Aber egal, er gibt es weiter – und das ist wichtig. Die Handelshäuser reagieren äußerst sensibel auf Kundenfeedback. 

Infos im Internet:  

Freitag, 24. Mai 2013

Brand- und Einsturzkatastrophe in Bangladesch: Wie die Textilbranche reagiert – Interview Teil 1


1.200 Tote, 2.500 Verletzte – auf den Einsturz einer Textilfabrik in Bangladesch Ende April sowie jüngst den Brand in einem Nähwerk in Kambodscha hat die internationale Textilbranche mit einem Brand- und Gebäudeschutzabkommen reagiert. Diesem sind neben KiK, Aldi, Primark, G-Star auch PVH, Tchibo, Inditex/ Zara, C&A und andere beigetreten. Dieser Initiative noch nicht angeschlossen haben sich Unternehmen wie Lidl, Metro, Otto, Ernsting, sOliver, Baumhüter, NKD oder PUMA.

Die Kampagne für Saubere Kleidung begrüßt diesen Schritt als einen „Weg für mehr Sicherheit in Bangladeschs Textilfabriken“.  Und doch klammere das Abkommen viele andere wichtige Probleme in der Modeindustrie aus, kritisiert Bettina Musiolek von der Kampagne in einem Interview mit der Sächsischen Zeitung: 

Frau Musiolek, mehrere Handelskonzerne von A wie Aldi bis Z wie Zara haben sich diese Woche bereit erklärt, mehr in die Sicherheit ihrer Zulieferfabriken zu investieren. Ist nun alles gut?
  
Nein. Ein Abkommen zu unterzeichnen ist das eine. Es umzusetzen das andere. Jetzt geht es um praktische Fragen: Steuern die Firmen finanziell zu den überfälligen Reparaturen bei oder erhöhen sie die Einkaufspreise, sodass die Fabriken in Bangladesch sich die Reparaturen auch leisten können? Außerdem bleiben davon andere massive Probleme in der Bekleidungsherstellung und in den Sweatshops unberührt: Der Hungerlohn, der flächendeckend gezahlt wird – wenn er überhaupt gezahlt wird! In Bulgarien etwa erhalten Näherinnen oft keinen Lohn für ihre Arbeit, geschweige denn Sozialversicherung. Und was ist mit dem Baumwollanbau, wo Böden zerstört und Pflückerinnen vergiftet werden? 

Welche Zustände in den „Sweatshops“ prangern Sie an?

Weit verbreitet sind Probleme bei den elektrischen Anlagen in den Fabriken. Viele wurden nicht fachgerecht konstruiert. Notausgänge sind oft verstellt. Ausgänge verschlossen. Die Fabriken sind Todesfallen. Und das weiß jeder in der Branche! Hinzu kommen in der Regel Löhne, die man nur als Hungerlöhne bezeichnen kann. In Mazedonien verdienen die Näherinnen etwa 100 Euro in der normalen Arbeitszeit. Dagegen läge ein existenzsichernder Lohn bei etwa 600 Euro. Wegen dieser Billigstlöhne müssen die Frauen Überstunden bis zum Umfallen machen. In Kambodscha bleibt den Frauen nach Abzug von Miete, Kleidung, Zahnpasta und Seife noch 75 Cent pro Tag, um sich Essen zu kaufen. Die Frauen sind chronisch unterernährt. Und doch auch oft die Ernährer ihrer Familien.

Textilanbieter wie H&M, Tchibo & Co. verweisen auf ihren Internetseiten gerne darauf, auf die Zahlung von Mindestlöhnen und eine saubere Produktion zu achten. Alles Lug und Trug?
  
Zum Teil ja. Die Handelsketten bezahlen Auditfirmen, die Fabriken prüfen sollen. Alle jüngst eingestürzten und abgebrannten Fabriken sind von solchen Prüfern zertifiziert worden. Wieviel soll man also auf solche Prüfungen geben? Und doch gibt es große Unterschiede zwischen den Handelshäusern. Einige, wie Hess Natur oder Jack Wolfskin, sagen, „o.k., wir brauchen unabhängige Kontrollen, alles andere ist nicht glaubwürdig“. Sie schließen sich unabhängigen Organisationen an, die ihnen auf dem Weg zu Menschenrechten in der Mode helfen und ihre Fabriken anschauen, ohne sich bestechen zu lassen. Doch auch diese unabhängigen Kontrollorganisationen würden nie eine Garantie übernehmen oder behaupten, „alle Kleidungsstücke, die unsere Mitglieder nähen lassen, sind ‚sauber‘“. Wenn Ihnen jemand so etwas sagt, müssen bei Ihnen alle Alarmglocken angehen! Dennoch bin ich überzeugt: Man kann die Herstellung von Textilien kontrollieren! Aber dazu braucht es mehr Anstrengungen als bisher von den meisten Handelsketten. Der ständige Preisdruck der Händler ist mörderisch. Den Fabriken bleibt oft nichts anderes übrig, als unter den Entstehungskosten zu produzieren. Die Leidtragende ist die Näherin am Ende dieser Kette.