Sonntag, 23. Oktober 2016

Mogelpackung: Das neue Klimaschutzabkommen der Luftfahrtindustrie


Der Kompenstionsdienstleister myclimate kritisiert das am 6. Oktober beschlossene Klimaschutzabkommen CORSIA (Carbon Offsetting and Reduction Scheme for International Aviation) der internationalen Luftfahrtindustrie scharf. „Das Konzept des «climate neutral growth» ist nichts weiter als ein Feigenblatt. Angesichts des Klimawandels, der globalen Emissionsziele als auch der wirtschaftlichen Situation wäre es angebracht, die 800 Millionen Tonnen CO2, welche die Flugzeuge jährlich in die Atmosphäre ausstoßen, vollständig zu kompensieren. Und mit 100 Milliarden Dollar mehr in der Kasse wäre dies für die Branche auch ohne weiteres möglich“, zieht myclimate Deutschland Geschäftsführer Stefan Baumeister eine eindeutige Bilanz. Beim ICAO 39th Triennial Assembly verkaufte die International Civil Aviation Organization (ICAO) ihr Abkommen als historischen globalen Klimaschutz-Airline-Deal. Kernpunkt ist das sogenannte «climate neutral growth» (klimaneutrales Wachstum), welches für alle Airlines beschlossen wurde. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass künftig im „besten“ Fall nur die ab 2020 zusätzlich entstehenden CO2-Emissionen kompensiert werden sollen. Das Abkommen wird jedoch in 3 Phasen ausgerollt und erst ab 2027 für alle Airlines bindend. Die in 2020 bereits vorhandenen jährlichen Emissionen von dann rund einer Milliarde Tonnen CO2 will die Branche weiterhin kostenlos in die Atmosphäre entsorgen.


Airlines sparen jährlich 100 Mrd USD Treibstoffkosten


Dieser Deal stellt demnach wenig mehr dar als ein Feigenblatt und vor allem eine immense verpasste Chance. „In der ICAO sitzen die gleichen Staaten, die Ende 2015 das Paris-Abkommen beschlossen haben. Es ist schon kurios und für uns völlig unverständlich, dass diese für eine ganze Branche nun gratis Verschmutzungsrechte in Milliardenhöhe ohne einen klaren Reduktionspfad akzeptieren. „Dabei wäre bei den konstanten Tiefpreisen für fossile Brennstoffe jetzt der Zeitpunkt gewesen, ein starkes Zeichen für Verantwortung und Klimaschutz zu setzen, und das völlig ohne negative Effekte auf die Bilanzen der Airlines“, zeigt sich Stefan Baumeister enttäuscht. Hintergrund des vernichtenden Fazits seitens myclimate sind die aktuell publizierten IATA Zahlen. Daraus geht eindeutig hervor, dass die Airlines dieses Jahr im Vergleich zu 2014 voraussichtlich 100 Milliarden US-Dollar an Betriebskosten dank gesunkener Kerosinpreise einsparen werden. „Würde man z.B. 25% dieser 100 Milliarden schweren Einsparungen in die Kompensation aller von Flugzeugen erzeugten CO2-Emissionen investieren, hätte man einen global äußerst großen Hebel für positive Auswirkungen auf die Umwelt und die nachhaltige Entwicklung. Selbst wenn die Airlines Ihre Einsparungen komplett behalten und diese Kosten an die Fluggäste weitergäben, sprechen wir bei aktuell 3 Milliarden Flugbewegungen pro Jahr im Schnitt von nur 8 USD Aufpreis pro Flugticket“, rechnet Stefan Baumeister. „Wenn alle Airlines so eine Gebühr erheben würden, gäbe es auch keinerlei Wettbewerbsnachteile!“ myclimate fordert von den Fluggesellschaften weltweit, dass sie für die Abfälle, die sie in die Atmosphäre entsorgen, die Verantwortung übernehmen und diese über Klimaschutzprojekte ausgleichen, die nach strengen Qualitätsstandards zertifiziert sind (Gold Standard und CDM). Angesichts der gewaltigen Einsparungen beim Kerosin wäre jetzt der richtige Zeitpunkt für die Industrie, für sämtliche CO2-Emissionen eine Gebühr zu entrichten, um die negativen Umweltauswirkungen wieder auszugleichen.


Klimaneutrales Wachstum eine große Mogelpackung


Das Angebot der Luftfahrtindustrie umfasst Reduktionsmaßnahmen, die großteils dem technischen Fortschritt und wirtschaftlichen Erwägungen geschuldet sind, von myclimate dennoch begrüßt werden. Als großer Schritt angepriesen wird allerdings auch das klimaneutrale Wachstum ab 2020 bis 2035. Das durchschnittliche Emissionswachstum der Airlines – die Effizienzgewinne schon abgezogen - wird mit ca. drei Prozent pro Jahr veranschlagt. Einzig dieses jährliche Wachstum soll kompensiert werden. „Die Klimaverschmutzung von jährlich bis zu 1000 Millionen Tonnen bleibt davon völlig unberührt“, echauffiert sich Stefan Baumeister. Die zur Diskussion stehenden drei Prozent Wachstum entsprechen also ca. 30 Millionen Tonnen CO2 im ersten Jahr, steigend um weitere 30 Mio t jedes weitere Jahr. Es ist zu befürchten, dass die Kompensation über sogenannte Billigzertifikate geschieht, die bei entsprechendem Einkauf zu einem Preis von ungefähr einem Dollar pro Tonne „zu haben wären“. Über den 15-Jahreszeitraum hinweg würde das global gesehen Investitionen in Kompensationszertifikate in Höhe von ca. 4 Mrd USD bedeuten, bei Gesamtemissionen von 19Mrd t CO2. Und die zusätzlichen klimawirksamen Effekte von Flügen sind hier nicht einmal erwähnt. Stefan Baumeister ordnet ein: „Das als gönnerhaft und verantwortungsbewusst dahingestellte Angebot der ICAO an die Welt muss man ins Verhältnis setzen zu den aktuell jährlichen Einsparungen beim Kerosineinkauf von 100 Milliarden USD. Ist das beschlossene Paket dann ein fairer Preis oder doch eher eine gigantische Mogelpackung?“  „Aus Sicht der Fluggäste mag es positiv sein, wenn Teile der Einsparungen durch tiefere Preise weitergegeben werden. Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten mag es gut klingen, dass sich der Gewinn deutlich erhöht. Klimapolitisch auf globalem Level und somit für uns alle ist das aber fatal“, schließt der myclimate Deutschland Geschäftsführer. „Auf jeden Fall folgt das Paket nicht dem bewährten Verursacherprinzip, wie es zum Beispiel seit Jahrzehnten erfolgreich im Bereich der Abfall- und Wasserwirtschaft in Deutschland praktiziert wird. Dieses Verursacherprinzip hat maßgeblich zu sauberen Gewässern und Wälder geführt, diese Konsequenz braucht es auch beim Klimaschutz!“ appelliert Stefan Baumeister.

Quelle: myclimate, Foto: Frank Herrmann