Eine Anzeigenkampagne für das Tiroler Zillertal verspricht: „100% Winter!“ Von rustikalem Holz umrahmt soll das wohl signalisieren: Bei uns ist die Welt noch in Ordnung. Dabei rüstet die alpine Skiindustrie rasant auf, um den Touristen den Anblick des Klimawandels zu ersparen – eine beispiellose Materialschlacht im Hochgebirge. Greenpeace findet, die Anzeige sollte ehrlicherweise so aussehen:
„179 topmoderne Liftanlagen“ gibt es im
Zillertal, mit einer „Gesamtförderkapazität von 306.150 Personen/Stunde“ – so
kann man mal eben die Bewohner einer Großstadt auf die „508 Kilometer perfekt
präparierte Pisten“ schaffen. „Österreichs längste Talabfahrt“, „Österreichs
steilstes Pistenerlebnis“ und auf dem Hintertuxer Gletscher auch noch
„Österreichs einziges Ganzjahresskigebiet“ – die Region protzt mit
Superlativen. Nun verspricht eine Werbekampagne auch noch „100% Winter!“ Denn:
„Ein bisschen ist einfach nicht genug.“ Dabei wissen wir doch: Auch in Tirol
ist der Winter nicht mehr das, was er einmal war – das Klima der Berge wandelt
sich sogar mehr als doppelt so schnell wie im globalen Durchschnitt. Laut
Wiener Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik war das Jahr 2015 in
Österreichs hochalpinen Regionen das wärmste seit Beginn der Messungen. „100%
Winter“? Davon kann immer seltener die Rede sein.
Deshalb wandert die
Schneegrenze immer weiter bergauf – und mit ihr das wachsende Arsenal von
Schneekanonen. In einem verzweifelten Wettlauf gegen die Zeit versuchen die
alpinen Wintersportregionen, mit Skigebietserweiterungen, neuen Superseilbahnen
und immer mehr Hightech auf der Piste die Konkurrenz zu übertrumpfen und den
steigenden Temperaturen zu trotzen. Vor zehn Jahren gab es laut Schätzungen
europaweit 3100 Schneekanonen, inzwischen sind es allein in Österreich mehr als
20.000, zwei Drittel der Pisten im Land können künstlich beschneit werden. Der
Winter aus der Retorte ist zum Normalzustand geworden – auch im Zillertal, wo
bereits 1450 Anlagen zur „technischen Beschneiung“ in Stellung gebracht wurden.
Umweltschützer sind über die Entwicklung entsetzt. Als „ressourcenintensiven
Luxus“ kritisiert der österreichische Alpenverein die Beschneiung, sie könne
„aus klimatischen Gesichtspunkten nur als kurzfristige Maßnahme der Seilbahnindustrie
angesehen werden“ und sei „ökonomisch und ökologisch nicht nachhaltig“. Der
BUND Naturschutz in Bayern und die Gesellschaft für ökologische Forschung
beziffern in ihrer Studie „Der gekaufte Winter“ den Energieverbrauch der
künstlichen Beschneiung auf alpenweit 2100 Gigawattstunden pro Saison – das ist
etwa so viel, wie eine Stadt mit 500.000 Einwohnern im Jahr verbraucht. Der
Wasserbedarf, rund 280 Millionen Kubikmeter pro Saison, entspreche sogar dem
dreifachen Jahresverbrauch der Millionenstadt München.
Mithilfe von Baggern und Sprengstoff entstehen
riesige Speicherbecken und großflächige Abraumhalden in
Hochgebirgslandschaften, deren spezialisierte Vegetation durch den Klimawandel
ohnehin in Bedrängnis gerät. Für Wasser-, Druckluft- und Stromleitungen werden
tiefe, frostfreie Gräben gegraben, hinzu kommen Pump- und Kompressorstationen,
Kühlanlagen und Zubringerstraßen für Lkws. Die Beschneiungsanlagen sind teils
in Betonschächten fest installiert, mobile Schneekanonen werden zum Saisonstart
mit dem Hubschrauber an Ort und Stelle gebracht. Dort dröhnen sie dann des
Nachts auf den beleuchteten Pisten, die mit schweren Raupen planiert werden.
Schöne neue Alpenwelt. Natürlich ist es verständlich, dass die Tiroler sich
mächtig ins Zeug legen und Abermillionen investieren, um den Winter
festzuhalten. Die Tourismusbranche ist der mit Abstand wichtigste
Wirtschaftszweig.
Unverständlich ist jedoch, dass die Skigebiete, ob im
Zillertal oder anderswo, nicht weiter in die Zukunft blicken und sich an die Spitze
der Klimaschutzbewegung setzen. Nirgends in Europa sind die Auswirkungen der
Erderwärmung schon heute so deutlich sichtbar wie in den Alpen, und langfristig
sind die Prognosen düster: Um bis zu 5,6 Grad droht sich der Alpenraum im Laufe
des Jahrhunderts zu erwärmen. Selbst die weit oben gelegenen
Gletscherskigebiete, als schneereiche Ausweichorte immer beliebter, bieten
keine langfristige Sicherheit. Auf dem Hintertuxer Gletscher, so erfährt man
auf dessen eigener Website, sind fünf Mitarbeiter jedes Jahr monatelang damit
beschäftigt, 80.000 Quadratmeter „Gletschervlies“ auszulegen und wieder
einzuholen, um die Eisschmelze wenigsten etwas zu verlangsamen. Es gäbe also
gute Gründe für weitblickende Touristiker, die Gäste zum Beispiel dazu
aufzufordern, zum Schutz des Klimas nur noch mit dem Zug anzureisen – das
Zillertal hat eine gute Bahnanbindung. Doch die Zillertal Tourismus GmbH
erklärt auf ihrer Website erst einmal stolz, man habe „eine eigene
Autobahnausfahrt“ und drei „Flughäfen in der Nähe“. Lieber Schnee, ade!
Quelle: Greenpeace, Grafik: „Keine
Anzeige“ des Zillertals – mit neuem Foto und neuem Text – aus dem Greenpeace
Magazin „Alpen Spezial“ 1.17