"Made in Europe"
steht für Qualität und faire Arbeitsbedingungen. Mehrere Recherchen der Clean
Clothes Campaign und der Initiative Change Your Shoes zeigen erstmals die
Realitäten in der europäischen Schuhindustrie auf: Von den Gerbereien in
Italien bis zu den Schuhfabriken in Mittel- und Südosteuropa. Dort stellen
zehntausende Arbeiter "italienische" oder "deutsche" Schuhe
her – zu oft noch tieferen Löhnen als in China. Schuhmarken kümmern sich bisher
noch viel zu wenig darum, unter welchen Bedingungen ihre Schuhe hergestellt
werden. Jeder Deutsche kauft im Durchschnitt pro Jahr 5,3 Paar Schuhe. Über 24
Milliarden Paar Schuhe wurden 2014 weltweit hergestellt, der größte Teil davon
in Asien, doch gerade bei hochpreisigeren Lederschuhen ist der europäische
Anteil bedeutend. Jedes fünfte Paar Schuhe, das in Europa über den Ladentisch
geht, ist auch in Europa produziert. "Made in Europe" ist oft nicht
fair Italien ist nicht nur das Schwergewicht der europäischen Schuhproduktion,
sondern gerbt auch 60 Prozent des in der EU produzierten Leders. Der Bericht
"A though story of leather" beleuchtet anhand des Gerbereien-Distrikts
Santa Croce in der Toskana die Schattenseiten dieses harten Gewerbes, in dem
vielfach Migranten arbeiten: Immer wieder kommt es zu Unfällen, das Heben der
schweren Lasten führt zu Gelenkschäden und durch den ungeschützten Kontakt mit
giftigen chemischen Substanzen entwickeln die Arbeitenden Allergien oder gar
Tumore.
Das
Hauptproblem: viel zu tiefe Löhne
Die auf die Gerberei
folgenden arbeitsintensiven Schritte der Schuhproduktion werden oft in mittel-
und südosteuropäischen Ländern durchgeführt. Rund 200.000 Menschen sind in den untersuchten
Ländern Albanien, Bosnien-Herzegowina,
Polen, Rumänien, Slowakei und Mazedonien in der Schuhindustrie beschäftigt. Die
Nähe zum westeuropäischen Markt sorgt für kurze Lieferzeiten, die Beschäftigten
sind hoch qualifiziert, aber das Lohnniveau ist äußerst tief. Der Bericht
"Labour on a Shoestring" zeigt das Hauptproblem: Die viel zu tiefen
Löhne. Die Löhne in Albanien, Mazedonien oder Rumänien liegen sogar noch unter
dem in China. Sie müssten vier bis fünf Mal höher sein, damit die
Fabrikarbeitenden und ihre Familien davon leben könnten. "Eine rumänische
Schuhindustriearbeiterin muss sich auf Jahre hinaus zu Wucherzinsen
verschulden, um einen Kühlschrank oder das Holz für die Winterheizung zu
kaufen. Der Akkorddruck ist so hoch, dass sie keine Atemmasken oder
Schutzkleidung gegen den Gestank von Leim und das Gift der Chemikalien tragen.
Unter allen europäischen Ländern, in denen wir bislang recherchiert haben, ist
Albanien wirklich das Bangladesch Europas", erklärt Betina Musiolek von
der Clean Clothes Campaign, Ko-Autorin des Berichts. In vielen
südosteuropäischen Fabriken ist es im Sommer so heiß, dass immer wieder Arbeiterinnen
kollabieren. Eine Familie zu gründen, scheint nicht finanzierbar.
Trauriges
Fazit der Arbeiter: Schlecht bezahlte Arbeit besser als keine
"Meine Frau und ich
arbeiten beide in einer Schuhfabrik. Wir sind froh, dass wir eine Arbeit
gefunden haben, aber mit unseren niedrigen Löhnen können wir keine Kinder
großziehen", erzählt ein rumänischer Arbeiter im Interview. Es zeigt sich
eindeutig: Die endemischen Probleme der Bekleidungs- und Schuhindustrie sind ein
Problem globaler Lieferketten und machen keineswegs halt vor Europa. Die
Bewertung der Schuhhändler macht deutlich, dass sich diese Firmen zu wenig
Gedanken über die Menschen machen, die ihre Schuhe fertigen. Das gilt für alle
Firmen, die für den Bericht "Trampling workers rights underfoot"
befragt wurden: elf Firmen gaben gar nicht erst Auskunft, und auch jene zwölf,
die antworteten, setzen Grundrechte nicht effektiv um. Erhoben wurde u.a., ob
existenzsichernde Löhne für Arbeiter vorgesehen sind und welche Arbeitsschutzmaßnahmen
vorausgesetzt werden. Von den 29 Unternehmen konnte keines der besten Kategorie
"im Laufschritt voraus" zugeordnet werden. Die Marken El Naturalista,
Eurosko und Adidas schafften es zumindest auf den zweiten Platz "auf gutem
Weg". Händler mit Hauptsitz in Deutschland, die in beiden Reports genannt
werden, sind Lowa, Deichmann, Ara, Rieker und Gabor. "Transparenz in der
Zulieferkette ist bei Schuhunternehmen noch eine Seltenheit", stellt
Bettina Musiolek fest. "Verbraucherinnen und Verbraucher haben einfach
kaum eine Chance sich für einen nachhaltig produzierten Schuh zu entscheiden,
da die Marken nicht glaubwürdig informieren, geschweige real nachhaltig
produzieren. 'Made in Europe' zeigt dies jedenfalls keineswegs an."
Quelle: UD/na