Samstag, 1. April 2017

Buchtipp: „Imperiale Lebensweise"



Im Buch „Imperiale Lebensweise“ stellen der Politikwissenschaftler Markus Wissen und sein Kollege Ulrich Brand so ziemlich alles infrage, was unseren Alltag in der Wirtschaftsnation Deutschland ausmacht – unter anderem die Liebe zum Auto. Ein Interview über private Pkws und wie sie die Welt zerstören.

In Ihrem Buch gehen Sie mit unserer Lebensweise hart ins Gericht. Was ist so schlimm am deutschen Lebensstil?
Markus Wissen: Erinnern Sie sich an den verheerenden Dammbruch vor zwei Jahren in Brasilien? In einem Eisenerzbergwerk in Mariana brachen zwei Rückhaltebecken, sechzig Millionen Kubikmeter schwermetallhaltigen Schlamms begruben ein Tal unter sich und verseuchten den Fluss Rio Doce. 16 Menschen starben, das ganze Ökosystem wurde zerstört. Diese Umweltkatastrophe hängt direkt mit unserer Lebensweise in Deutschland zusammen. Denn Deutschland importiert Eisenerz im großen Stil aus Brasilien – insbesondere für die Herstellung von deutschen Autos.

Sie sagen also, dass wir Deutschen eine Mitschuld an dem Unglück tragen?
Mit unserer Haltung als selbsternannte Auto-Nation, die jederzeit zu günstigen Bedingungen auf die nötigen Rohstoffe zugreifen möchte, fordern wir so etwas heraus. Aber es ist nicht nur die Herstellung von Autos, die massiven Schaden anrichtet, sondern natürlich auch deren Nutzung. Die CO2-Emissionen der Deutschen liegen bei etwa neun Tonnen pro Kopf und Jahr – es dürften aber nur zwei bis drei Tonnen sein, um den Klimawandel zu stoppen. Rechnet man unseren CO2-Ausstoß auf die gesamte Weltbevölkerung um, muss man sagen: Wenn alle so leben würden wie wir, dann wäre die Erde schon längst kollabiert.

Sollten wir also ganz aufs Auto verzichten?
Auf lange Sicht ja. Ich denke, dass der private Pkw-Besitz zurückgedrängt werden muss. Stattdessen sollten wir die öffentlichen Verkehrsmittel und die Infrastrukturen für Fahrräder ausbauen. Sehen Sie sich doch mal in Ihrer Stadt um! Die Straßenränder sind zugepflastert mit Automobilen, die 23 Stunden am Tag einfach nur rumstehen. Das sind Räume, die für Kinder zum Spielen genutzt werden könnten. Für Straßenfeste oder schlicht für ein angenehmes Leben in der Stadt! Darüber denkt nur niemand nach, weil wir uns so an den Alltag mit Autos gewöhnt haben. 

Ihr Vorschlag klingt vorbildlich. Aber halten Sie ihn für realistisch? Schließlich sind laut Zahlen von 2015 rund 792.000 Menschen in der deutschen Automobilindustrie beschäftigt.
Ich weiß natürlich, dass das eine provokante These ist. Aber die Umstellung kann funktionieren. Das belegt der Fall des britischen Rüstungsunternehmens „Lucas Aerospace“, das in den 1970er Jahren in eine tiefe Krise geriet: Damals setzten die Beschäftigten sich zusammen und dachten sich neue Projekte aus. Anstelle von Rüstungsgütern entwickelten sie gesellschaftlich sinnvolle Produkte wie Sehhilfen für Blinde, Solarzellenmotoren oder Wiederbelebungsgeräte. So etwas wäre sicherlich auch für die Automobilindustrie denkbar. Wichtig ist, dass die Beschäftigten einbezogen werden.

Ich kann mir vorstellen, dass es trotzdem Autofahrer gibt, die absolut nicht auf ihren Wagen verzichten wollen.
Ja, sicherlich verzichten Menschen nur ungern. Aber ich halte diesen Verzicht für unabdingbar. „Verzicht“ heißt in diesem Fall nichts anderes, als dass einer privilegierten Gruppe von Menschen die Möglichkeit genommen wird, auf Kosten anderer und der Natur zu leben. Für viele bedeutet er einen Zugewinn an Lebensqualität. Lassen Sie mich ein Beispiel bringen: Die Menschenrechte sind eine relativ neue Erfindung. Ihre Durchsetzung bedeutete vor langer Zeit auch einen Verzicht – für Feudalherren und absolutistische Herrscher, die von bestimmten Formen der Ausbeutung ihrer Untertanen ablassen mussten. Heute sind die Menschenrechte in vielen Verfassungen verankert. Daran sieht man: Umfassender Wandel ist möglich.

Was müssen wir tun, um einen solchen Wendepunkt zu erreichen?
Das ist nichts, was einfach von selbst geht. Wir müssen dafür kämpfen, dass Einstellungen überdacht werden und eine Veränderung unserer Lebensweise stattfindet. Dafür müssen wir uns politisch einsetzen – in Umweltverbänden, Gewerkschaften oder Initiativen wie der „Critical Mass“. Auf diese Weise können wir auf Politik und Wirtschaft einwirken und letztlich eine rücksichtsvollere Lebensweise erreichen, die weder die Umwelt noch andere Menschen ausbeutet.

Quelle Greenpeace Magazin; Interview: Julia Huber