Die Dachorganisation
von Max Havelaar (in Deutschland: TransFair) arbeitet an einem neuen Label für Textilien. Die Einführung
steht kurz bevor. Kritiker werfen dem geplanten Fairtrade-Standard Irreführung
und Verantwortungslosigkeit vor.
Es sind Bilder, die niemand, der
sie gesehen hat, vergessen wird: die Aufnahmen von verschütteten Näherinnen und
Arbeitern nach dem Einsturz des Rana Plaza nahe der Hauptstadt Dhaka in
Bangladesch. Eine achtgeschossige Textilfabrik, in der Marken wie Benetton,
C&A und Mango Kleider produzieren ließen. Das Unglück forderte über 1100
Menschenleben, 2438 wurden verletzt. Es setzte verschiedene Projekte in Gang,
um die Textilfabrikation humaner und nachhaltiger zu gestalten. Einen weiteren
Schritt in diese Richtung will jetzt die internationale Fairtrade-Organisation
unternehmen, unter deren Dach Max Havelaar in der Schweiz angesiedelt ist. Bereits
seit 2005 gibt es Produkte mit Fairtrade-Baumwolle von Max Havelaar. Trägt ein
T-Shirt das Max-Havelaar-Label, ist sichergestellt, dass die verwendete
Baumwolle unter fairen Bedingungen gepflückt, entkernt und weiterverarbeitet
wurde. Fair heißt unter anderem, dass den Produzenten ein kostendeckender Preis
für ihr möglichst umweltschonend hergestelltes Produkt bezahlt wird und sie
ferner eine Prämie erhalten, die für soziale Projekte und Infrastruktur
eingesetzt wird. Das heute verwendete Label für Fairtrade-Baumwolle ist aber
keine Garantie, dass das Kleidungsstück auch unter fairen Bedingungen genäht
worden ist und bis in den Laden die Fairtrade-Standards durchgängig eingehalten
wurden. Dies will das neue Fairtrade-Label für Kleider leisten. Die ersten
Vorbereitungen dafür reichen bis ins Jahr 2005 zurück. Nun steht die Einführung
bevor. «Die Fertigstellung des Standards ist für Ende März vorgesehen»,
bestätigt Claudia Brück, Sprecherin der internationalen
Fairtrade-Dachorganisation.
Kritik aus den eigenen Reihen
Jetzt, kurz vor der geplanten
Einführung, wird Kritik am geplanten Label laut. Federführend ist dabei die
international agierende Clean Clothes Campaign (CCC), die in der Schweiz von
der Erklärung von Bern (EVB) getragen wird. Kritik aus den eigenen Reihen also,
denn auch die CCC setzt sich für bessere Arbeitsbedingungen in der
Bekleidungsindustrie ein und wurde für die Erarbeitung des neuen Standards
angehört. Die Vorbehalte gegenüber dem neuen Standard sind vielfältig. Sie
beginnen damit, dass es sich bei Fairtrade bislang um reine Produktlabels
handle. Das funktioniere bei nicht verarbeiteten Produkten wie etwa Bananen. Bei
Erzeugnissen mit komplexer Lieferkette sei es hingegen sehr viel schwieriger,
mit dem Fairtrade-System bessere Bedingungen zu erzielen. Die Kontrolle, ob die
Fairtrade-Kriterien eingehalten werden, sei dann sehr zeitaufwendig und
kostenintensiv – mit der Gefahr zu scheitern. Zudem erlaube der Ansatz mit
einem Produktlabel, dass Firmen nur in einzelnen ausgewählten Produktionsketten
arbeiten, statt gleich das ganze Unternehmen auf Fairtrade-Bedingungen
umzustellen. «Sie müssen also ihr Geschäftsmodell, das vielfach für Arbeits-
und Menschenrechtsverstöße direkt mitverantwortlich ist, nicht anpassen», sagt
Oliver Classen von der Erklärung von Bern. Will heißen, dasselbe Unternehmen
könnte faire T-Shirts herstellen und gleichzeitig Jacken, die diesen Kriterien
nicht entsprechen.
Fair und unfaire
Produktion in der gleichen Fabrik
Kritik gibt es zudem bei den
Löhnen. Es sei zwar vorgesehen, einen existenzsichernden Mindestlohn zu
bezahlen. «Doch die genaue Höhe dieses Lohns ist bisher nicht klar, und es
fehlt eine langfristige Umsetzungsverantwortung der Markenfirmen», sagt
Classen. Er stört sich auch daran, dass der neue Fairtrade-Standard eine
sechsjährige Übergangszeit einräumt, während der sich die Partnerfirmen bereits
mit der Teilnahme am Programm brüsten können, selbst wenn noch kein
existenzsichernder Lohn auf allen Wertschöpfungsstufen bezahlt wird. «Das ist
inakzeptabel gegenüber dem Fabrikpersonal und irreführend gegenüber den
Konsumenten.» Laut Classen besteht die Gefahr, dass Markenhersteller
sogenanntes White Washing betreiben könnten. Das heißt, der Hersteller
zertifiziert eine Produktlinie für Fairtrade und fokussiert sein Marketing
darauf. Dadurch kann dann die ganze Marke von einem Fairtrade-Anstrich
profitieren. Grundsätzliche Bedenken hat die EVB bei den Kontrollen, die
sicherstellen sollen, dass nach den Fairtrade-Kriterien gearbeitet wird.
«Solche Audits sind immer nur Momentaufnahmen», sagt Classen. Es seien keine
Garantien zur Einhaltung der grundlegenden Arbeits- und Menschenrechte. «Besser
wären verbindliche, überprüfbare und einklagbare Abkommen zwischen den
Gewerkschaften in den Ländern und den globalen Markenherstellern.»
Fairtrade wehrt sich
Bei der Dachorganisation von Max
Havelaar, Fairtrade International, lässt man die Kritik nicht gelten. Der neue
Standard werde von einem Beratungsprogramm begleitet. Damit sei gewährleistet,
dass man nicht nur einmal pro Jahr bei den Textilunternehmen vor Ort sei. «Wie
überall im Fairtrade-System sollen die Kontrollen auch bezahlbar sein. Zudem
gibt es Kooperationen mit Gewerkschaften, lokalen Partnern und anerkannten
Industrieexperten – damit entsteht ein umfassender Ansatz», sagt
Fairtrade-Sprecherin Claudia Brück. Bei der Festlegung der existenzsichernden
Löhne werde auf die Voraussetzungen im jeweiligen Land eingegangen. Dass eine
Übergangsfrist für die Anpassung der Löhne gewährt werde, habe sich bereits in
anderen Bereichen bewährt: «Eine sofortige Zahlung von existenzsichernden
Löhnen würde dazu führen, dass die entsprechenden Unternehmen von der
Kostenstruktur her nicht kompetitiv wären, während konventionelle Unternehmen
keinerlei Schritte in Richtung höhere Löhne unternehmen. Damit würde man die
willigen Unternehmen bestrafen und aus dem Markt drängen», sagt Brück. Sie
verspricht zudem, dass gegenüber den Konsumenten transparent gemacht werden
soll, wenn ein Hersteller noch keine existenzsichernden Löhne zahle und erst
auf dem Weg sei, die Kriterien zu erfüllen: «Labelling und Kommunikation sind
noch in Entwicklung – dabei geht es auch darum, den Konsumenten einerseits eine
bewusste Kaufentscheidung zu ermöglichen und andererseits keine Übererwartung
zu wecken.»
Gibt es den Mittelweg?
Der Fairtrade-Standard soll
unabhängig davon eingehalten werden, wie hoch der prozentuale Anteil an der
Produktion und der Verkäufe ist. «Das ist eine starke Motivation für
Unternehmen, möglichst viele nach dem Fairtrade-Standard produzierte Textilien
zu verkaufen», so Brück. Gegen «White Washing» werde man aktiv vorgehen. Jene
Firmen, die beim neuen Textilstandard mitmachen wollen, müssen ihre
Kommunikation nach außen mit der Fairtrade-Organisation abstimmen. Dass
verbindliche und einklagbare Abkommen zwischen Gewerkschaften und Unternehmen
ein griffigeres Mittel wären, räumt auch Brück ein. Sie relativiert aber, dass
solche Abkommen keine Chance hätten, in der Textilindustrie akzeptiert zu
werden. Das wisse man aus den Konsultationen zum Standard, und das habe sich
auch bei den Praxistests des Standards in verschiedenen Unternehmen gezeigt. Zwischen
den Positionen der internationalen Fairtrade-Organisation und der Clean Clothes
Campaign scheinen Welten zu liegen. Einen Versuch, die beiden Kontrahenten zu
versöhnen, unternimmt Tobias Meier vom Hilfswerk Helvetas: «Die beiden
Organisationen sind uneins über den besten Weg zu mehr Nachhaltigkeit.» Die CCC
ist laut Meier der Meinung, es brauche dafür ein neues Wirtschaftsmodell.
Fairtrade wolle den Weg zusammen mit Herstellern und weiteren Akteuren gehen.
«Am Schluss», so der Fairtrade-Experte, «ist jeder Schritt gut, der die
Situation für die Angestellten in der ganzen Wertschöpfungskette verbessert und
ihre Rechte stärkt.»
Quelle: tagesanzeiger.ch