Kleinbauern
in Ländern des Globalen Südens verkaufen meist nur Rohstoffe. Die Gewinne durch
Weiterverarbeitung machen andere. Geht es auch anders?
Wer auf einer kleinen
Parzelle in Guatemala, Äthiopien oder Vietnam Kaffee anbaut, hat neben
Klimaschwankungen, Pilzbefall und Landflucht ein weiteres Problem: Er ist
abhängig von den Weltmarktpreisen. Kaffee ist einer der wichtigsten
Handelsgüter weltweit. Seinen Preis bestimmen Börsen, Großkonzerne und
Supermarktketten. Global Player, die die Kleinbäuerinnen und Kleinbauern im
Globalen Süden nie zu Gesicht bekommen haben. Sie liefern lediglich den Rohstoff.
Weltweit setzt alleine die Kaffeeindustrie Schätzungen zufolge jährlich 200
Milliarden US-Dollar um. Doch an der Tasse Kaffee, die wir in Deutschland für
zwei bis drei Euro im Café trinken, bleiben dem Kaffeebauer lediglich vier Cent
pro Tasse. Kaffeebauern liefern ein Luxusprodukt, bleiben jedoch arm. Seit
Jahren sind die Kaffeepreise im Keller und lagen zuletzt deutlich unter einem
US-Dollar pro Pfund Rohkaffee. „Der Kaffeepreis ist an der Börse auf ein Niveau
gesunken, von dem die Familien der Kaffeebauern nicht leben können“, sagt
Manuel Blendin, Geschäftsführer des Forums Fairer Handel. An dieser Situation
hat auch der Faire Handel bislang nur punktuell etwas ändern können. Denn die
Weiterverarbeitung der Rohstoffe findet überwiegend in den Industrieländern des
Nordens statt oder wird von kapitalkräftigen Unternehmen vor Ort erledigt.
Während die Kaffeebauern unter der Talfahrt der Kaffeepreise ächzen, wachsen die Gewinne der
Akteure, die Kaffee in den globalen Norden importieren, rösten,
verpacken und verkaufen. Die Akteure, das
sind Multis wie Nestlé, Starbucks, Kraft Foods und deutsche Unternehmen wie die
Neumann Kaffee Gruppe, Tchibo, Melitta und – Aldi. Der Discounter verarbeitet
den Kaffee in eigenen Röstereien und kann ihn so konkurrenzlos günstig
anbieten. Die im Dezember 2018 von mehreren Organisationen des Fairen Handels
veröffentlichte Studie „Kaffee: Eine Erfolgsgeschichte verdeckt die Krise“ belegt, dass die
Wertschöpfung bei Röstern und Händlern in Deutschland in den vergangenen 20
Jahren um 139 Prozent gestiegen ist. Recherchen des „Global Coffee Barometer
2018“ zeigen, dass nur zehn Prozent des Geldes, das weltweit mit Kaffee
umgesetzt wird, in den Anbauländern verbleibt.
Mit
Wertschöpfung aus der Armutsfalle
Das extreme
Ungleichgewicht zwischen Rohstoffpreisen und Gewinnen durch Wertschöpfung, also
Mehrwert durch Weiterverarbeitung, ist den Akteuren des Fairen Handels bestens
bekannt. Um Kleinbauern effektiver zu unterstützen, reiche es nicht nur auf
einen gerechteren Erntepreis und die Fair-Prämie zu schauen, sagen sowohl
Anhänger als auch Kritiker von Fair Trade. Denn solange die Erzeuger keine
Möglichkeit haben, die Rohstoffe vor Ort weiterzuverarbeiten, bleiben sie arm –
davon ist der Wirtschaftsexperte Ndongo Sylla überzeugt. „Afrika ist seit 200
Jahren in der Produktion von Rohstoffen gefangen“, sagt der Autor des Buchs The Fair Trade Scandal: Marketing Poverty to
Benefit the Rich. „Ein Modell, das darauf aufbaut, weiter Rohware zu
exportieren, wird nicht zu einem Ausstieg aus der Armut führen.“ Mehr Wertschöpfung im Ursprungsland „bietet
den jüngeren Generationen eine Perspektive und den Produzenten neue
Marktzugänge“, sagt Stefan Bockemühl, Geschäftsführer von El Puente. „Der
Schlüssel liegt im Aufbau regionaler Märkte“, sagt Claudia Brück von Fairtrade
Deutschland. „Das würde den Konsum von Kaffee im eigenen Land belassen und
dadurch auch die Wertsteigerung.“ Kaffeeverarbeitung im Land, in dem der Kaffee
angebaut wird, ist das eine. Aber Kaffee für die anspruchsvollen Kunden der
Industrienationen zu rösten, mahlen und zu verpacken, ist ungleich schwieriger:
Zwar ist Buchautor Sylla überzeugt, dass der Faire Handel eine viel größere
Wirkung hätte, wenn Afrikaner ihren Kaffee oder Kakao vor Ort weiterverarbeiten
und ihn dann in den europäischen Supermärkten verkaufen könnten.
Weiterverarbeitung
von Kaffee vor Ort – ein Weg voller Hindernisse
Aber wer gerösteten und
gemahlenen Kaffee in die EU exportieren möchte, hat zahlreiche Hürden zu
überwinden: Die Kaffeemarken des Nordens
benötigen große Mengen Kaffee in gleichbleibender Menge und Qualität. Doch bei
den Kleinproduzenten fehlt es schlichtweg am Kapital für Röst- und Verpackungsmaschinen
und dem Know-how, sie zu bedienen. Die Anforderungen der EU an Hygiene und
Qualität von importierten Lebensmitteln sind hoch, der Einsatz von
Pflanzenschutzmitteln und Dünger ist streng geregelt, und manche Inhaltsstoffe
sind schlichtweg verboten. Mitunter sind EU-Importzölle auf verarbeitete
Lebensmittel höher als auf unverarbeitete, etwa bei Rohkaffee aus Brasilien
oder Südafrika. Hinzu kommt, dass die
meisten Konsumenten Kaffeemischungen, sogenannte Blends, kaufen. „Ein Blend
kann Kaffee aus Brasilien, Kolumbien und Guatemala beinhalten, und bei
Espresso-Mischungen besteht der Kaffee oft aus 60 Prozent Arabica aus
Lateinamerika und 40 Prozent Robusta aus Vietnam oder Ostafrika“, betont Simon
Aebi, Kaffee-Experte bei Max Havelaar Schweiz. Bei diesen Blends sei eine
Röstung vor Ort nicht möglich. Eine Hürde ist auch, dass in Europa gerösteter Kaffee frischer ist und ein
längeres Mindesthaltbarkeitsdatum hat – der Ablauf der Haltbarkeit eines
Kaffees beginnt direkt nach der Röstung. Während des Transports nach Europa geht
wertvolle Zeit verloren. Frische ist auch für Ingo Herbst vom Fairhändler
Contigo einer der Hauptgründe, der gegen eine Verarbeitung vor Ort spricht.
„Die Kaffees werden in unseren Läden geröstet und sind selten älter als drei
Tage.“ Wer allerdings glaubt, dass es die Röster sind, die am meisten vom Geschäft
mit der braunen Bohne profitieren, der irrt: „Die größte Wertschöpfung entsteht
am Ende der Handelskette, also bei den Supermärkten, Bioläden und Discountern“,
sagt Klaus Kruse vom Fairhändler Ethiquable Deutschland. „Der
Lebensmitteleinzelhandel beansprucht Margen zwischen 30 und 50 Prozent vom
Endpreis.“ Zu mindern sei dies nur durch
direktere Handelswege und Margenbegrenzung, so Kruse.
Auf
lokalen Märkten schneller zum Erfolg
Dass die Verarbeitung von
Kaffee im Ursprungsland trotz aller Hindernisse funktionieren kann, zeigt im
kleinen Umfang die Gepa. Sie lässt drei Kaffees im Herkunftsland verarbeiten:
Frauen der Genossenschaft Aprolma in Honduras rösten inzwischen einen kleinen
Teil der Kaffeebohnen für den Export. Von den 5,99 Euro, die das halbe Pfund
Bio-Kaffee kostet, bleiben 1,87 Euro bei der Kooperative – „mehr als dreimal so
viel wie beim konventionellen Kaffee“, sagt Gepa-Pressereferentin Brigitte
Frommeyer. Im herkömmlichen Kaffeehandel sind es nur 68 Cent.
Vergleichbare Röstkaffeeprojekte gibt es
auch in Guatemala und Ruanda. Fertig verarbeiteten Kaffee auch für die
einheimischen Märkte zu produzieren, das gelingt vor allem größeren
Fair-Trade-Genossenschaften, darunter Norandino in Peru, Cafenorte in Kolumbien
und Expocaccer in Brasilien. In Tanzania haben die Mitglieder der
Fairtrade-Kaffeekooperative KCU die Mehrheitsanteile einer Fabrik übernommen,
die Instantkaffee produziert – sie verkaufen das fertige Endprodukt am lokalen
Markt. „Damit bleibt der Großteil der Wertschöpfung im Land, und die
Kooperative profitiert direkt von den Erlösen“, sagt Hartwig Kirner,
Geschäftsführer von Fairtrade Österreich. Gerecht im Sinne des Fairen Handels
ist es aber nur dann, wenn – wie im Fall von KCU – auch die Fabrik und die
Maschinen der Kooperative gehören, damit Kleinbauern und Arbeiter wirklich
profitieren. Denn „wenn die lokale Bourgeoisie, in deren Hand oftmals die
wenige Industrie ist, oder wenn die im Land ansässigen Multis von der
Weiterverarbeitung profitieren, ist für die Kleinbauerngenossenschaften wenig gewonnen,“
sagt Kruse.
Quelle: Frank Herrmann (zuerst veröffentlicht in der taz-Beilage Fairer Handel 14./15.9.19), Bild 1 und 4 von oben: Frank Herrmann