Es gibt wenig ungeheuerlichere
Anblicke in Venedig als der eines Kreuzfahrtdampfers im Guidecca Kanal. Bis zu
fünfzehn Stockwerke hoch und doppelt so lang wie der Markusplatz stellen die
schwimmenden Riesen Dogenpalast und Basilika regelmäßig in den Schatten. Jedes
Jahr kommen etwa 650 solcher Luxusliner in die norditalienische Hafenstadt. Sie
verdrängen tausende Tonnen von Wasser, das bedrohlich gegen alte Säulen und
Gebäude drückt, und entladen über eine Million Touristinnen und Touristen in
die historischen Gassen.
Durchfahrtsbeschränkung
aufgehoben
Damit sollte im November letzten
Jahres Schluss sein, als Italiens Regierung teils als Reaktion auf das Costa
Concordia-Desaster beschloss, Riesendampfer über 100'000 Tonnen westlich am
Guidecca Kanal vorbei durch die Lagune zu lenken. Für Venedigs Bürgerinitiative
"No grandi navi" nur ein Teilerfolg, da für die Ausweichroute eine
Fahrrinne in der Lagune vertieft hätte werden müssen, was das fragile Ökosystem
dort weiter gefährdet hätte. Zudem wären immer noch bis zu 475 kleinere
Kreuzfahrtschiffe in den Guidecca Kanal eingefahren. Doch immerhin war es ein
Erfolg. Nun ist allerdings auch dieser Geschichte. Denn Ende März hob ein
regionales Gericht im Veneto die Durchfahrtsbeschränkung unter Druck der
venezianischen Hafenbehörde und der Schifffahrtsunternehmen wieder auf. Behörde
und Unternehmen sind denn auch die beiden Hauptprofiteure des
Kreuzfahrttourismus in Venedig, während die Stadt selbst kaum an den Touristenmassen
verdient. Denn diese schlafen und essen am Liebsten an Deck.
Venedig auf der Liste
der bedrohten Stätten
Die Entscheidung der Richter ist
schwer zu verstehen. Nicht nur ist ein beträchtlicher Teil der Venezianer gegen
die Durchfahrt der Riesendampfer, auch das historische Erbe der Stadt ist
konkret von ihnen bedroht. Und deswegen kommen die Touristen doch dorthin. Nun
hat der World Monument Fund (WMF) Venedig dieses Jahr neben Syrien und Timbuktu
auf die Liste der bedrohten Stätten gesetzt. Denn selbst ohne einen stündlichen
Tsunami durch die Kreuzfahrtschiffe kämpft Venedig gegen die schleichende
Bedrohung durch den Anstieg des Meeresspiegels. Bereits vor zwei Jahren wies
die UNESCO darauf hin, dass der mittlere Wasserstand bereits einen Fuß über dem
Mittel des letzten Jahrhunderts stünde und dass "der Meeresspiegel eine
Höhe erreichen wird, die für die Altstadt und die Lagune nicht tragbar
ist".
Kurzzeitige
Profitinteressen vor langfristigen Perspektiven
Das Problem liegt – wie so oft in
Italien – bei der Politik. Das weiß auch die ehemalige Leiterin der britischen
Stiftung "Venice in Peril" (Venedig in Gefahr), Anna Somers Cocks.
Sie griff die lokale Regierung wegen ihrer Toleranz gegenüber den
zerstörerischen Luxuslinern scharf an. Bürgermeister Giorgio Orsoni wies jedoch
sämtliche Verantwortung von sich. Er kontrolliere die Schifffahrt im Guidecca
Kanal ja gar nicht, gab er zu verstehen, das täte allein die Hafenbehörde. Hier
dominieren kurzzeitige Profitinteressen über langfristige Perspektiven. Sollte
die Entscheidung der Richter unangefochten so stehenbleiben, wird es eines
Tages kein Venedig mehr geben, auf das man vom Deck eines Kreuzfahrtschiffes
herunterschauen kann.
Quelle: akte, 1. Foto oben: Dan Davison, Flickr-creative commons