Der Einsturz der Textilfabrik Rana
Plaza in Bangladesch am 24. April 2013 wurde zum Symbol für alles, was in der Kleiderproduktion
für die westliche Welt schief läuft: Ausgebeutete Näherinnen, die in
baufälligen Höllenlöchern T-Shirts herstellen, die in Deutschland und anderswo
für nur einen Euro verramscht werden. Rund 30 Euro im Monat verdienen viele der
Arbeiterinnen in Bangladesch nur. Haben die westlichen Bekleidungsriesen aus
der Katastrophe gelernt? In den nächsten Monaten und Jahren könnte Äthiopien
eine Antwort liefern. Denn in Afrika will der schwedische Modegigant H&M
künftig verstärkt Produkte herstellen. Erste Kleidungsstücke liegen bereits in den
Geschäften in Europa. Das Online-Magazin Wiwo Green hat mit Anna Gedda, Nachhaltigkeitbeauftragte
bei H&M, über die anlaufende Produktion in Äthiopien gesprochen:
Afrika südlich der Sahara ist nicht unbedingt als Hort für hohe Arbeitsstandards
und faire Löhne bekannt. Das scheinen keine guten Vorrausetzungen für
verantwortungsvoll produzierte Produkte, oder?
Anna Gedda: Wenn wir neue Märkte suchen, schauen wir uns
viele Faktoren an. Wie hoch die Produktionskosten sind zum Beispiel und wie
lange die Produkte von dort bis zu den Konsumenten brauchen. Natürlich spielt
auch die Qualität der Produktion eine Rolle und das Thema Nachhaltigkeit.
Äthiopien war unter allen Gesichtspunkten eine gute Wahl.
Und warum ausgerechnet Äthiopien?
Wir haben für Äthiopien, wie bei allen anderen Produktionsstandorten,
eine Risiko- Abschätzung gemacht. In der haben wir uns auch Aspekte der
Nachhaltigkeit im Bereich Soziales und Umwelt angesehen und wir waren mit der
Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), lokalen NGOs und Afrika-Experten der
schwedischen Regierung im Gespräch.
Und was haben die Ihnen gesagt?
Wir haben viel darüber erfahren, wie das Land funktioniert.
Alle sahen es als sehr positiv an, dass H&M dort produzieren will. Denn sie
waren überzeugt davon, dass wir die Produktionsstandards erhöhen und lokalen
Produzenten zeigen können, wie eine verantwortungsvolle Produktion aussieht.
Wie wollen Sie das anstellen?
Erst einmal sind die Textilfabriken in Äthiopien sehr viel
moderner als man annehmen würde. Es gibt dort Gewerkschaften und auch lokale
Tarifverträge, die es in Bangladesch in den meisten Fabriken nicht gibt. Sie
regeln, wie gearbeitet wird, aber beinhalten zum Beispiel nicht die Löhne. Wir
versuchen derzeit die Löhne in die Tarifverträge einzuschließen.
Glauben Sie wirklich, dass das eine Situation wie in Bangladesch verhindert?
Dort sind die Arbeiter chronisch unterbezahlt und schieben Überstunden.
Ja, wir glauben, dass sich so etwas durch gute Vorbereitung
verhindern lässt. Im Übrigen verbessert sich auch die Situation in Bangladesch
allmählich.
Wie wollen Sie sichergehen, dass die Standards in den Fabriken auch eingehalten
werden?
Wichtig ist hier der Kontext, in dem die Produktion
stattfindet. Wenn es keine gesetzlichen Rahmenbedingungen gibt, die Sicherheitsstandards
in Fabriken festlegen oder die Umsetzung dieser Vorgaben mangelhaft ist, dann
hat die Bekleidungsindustrie ein Problem. Wir als Unternehmen können keine
Regierung ersetzen …
… machen Sie es sich damit nicht zu einfach?
Einen Moment. Wir als großes Unternehmen können sehr wohl
unseren Einfluss in einem Land geltend machen und wir können Dinge zum
Positiven verändern. In Bangladesch zum Beispiel haben wir die Regierung
gedrängt, Regeln für höhere Löhne und eine regelmäßige Zahlung der Gehälter zu
erlassen. Außerdem waren wir die erste Marke, die die Vereinbarung für mehr
Feuer- und Bausicherheit in den Fabriken unterzeichnet hat. Mit der Größe
unseres Unternehmens kommt auch eine Verantwortung.
Wäre Äthiopien nicht eine gute Möglichkeit, hohe Standards von Beginn
an durchzusetzen und nicht wie in Bangladesch erst nach etlichen Skandalen und
Katastrophen mit hunderten Toten?
Das ist genau das, was wir in Äthiopien tun wollen. Wie
gesagt, ein Start sind die Löhne. Es gibt derzeit keinen Mindestlohn in der
Textilindustrie. Wir haben die Internationale Arbeitsorganisation gefragt, was
wir in diesem Bereich tun können. Sie haben uns empfohlen, die Gehälter im
öffentlichen Dienst des Landes anzusehen und diese dann als Vorgabe für die
Löhne der Arbeiter bei unseren Zulieferern zu nehmen. Das haben wir auch getan.
Und wie wollen Sie prüfen, ob die Löhne wirklich gezahlt werden?
Wir haben ein sogenanntes Audit-System – also Mitarbeiter,
die Zulieferer kontrollieren. Was wir aber für noch wichtiger halten ist, die
Angestellten mit ihren Arbeitgebern ins Gespräch zu bringen, sodass sie über
Sozialstandards verhandeln können. Das
Ziel ist, dass Arbeiter wie in Schweden und Deutschland ihre Anliegen bei der
Unternehmensführung der Zulieferer vorbringen können.
Wie viele Leute kontrollieren denn vor Ort die Produktionsmethoden?
Derzeit beziehen wir nur Testbestellungen aus Äthiopien.
Wenn das nach Plan läuft, werden wir die Produktion dort ausbauen. Aktuell sind
unsere Mitarbeiter aus der Türkei in Afrika im Einsatz. In Zukunft werden wir
aber auch feste Angestellte vor Ort haben, die Audits durchführen und mit den
Zulieferern arbeiten. Genauso wie zum Beispiel in Bangladesch. Von unseren 450 Mitarbeitern
dort arbeiten 90 zusammen mit unseren Zulieferern an den Themen Nachhaltigkeit
und Arbeitsbedingungen. Allein an dieser Anzahl lässt sich der Stellenwert
dieses Themas für H&M ablesen. Genauso wird es auch in Äthiopien sein.