Tommy Wiedmann dürfte in dieser Woche
einige Politiker und Wissenschaftler vor den Kopf gestoßen haben. Der Ökonom
und Nachhaltigkeitsforscher von der australischen Universität New South Wales
hat eine Studie veröffentlicht, die ein ziemlich drastisches Urteil über die
Folgen des Wirtschaftswachstums in entwickelten Ländern fällt: Die Welt
verbraucht viel mehr Ressourcen, als Regierungen und Organisationen wie die UN vorrechnen.
Entkopplung von Wachstum und Ressourcenverbrauch
Damit sich der Ressourcenhunger
der Welt nicht bis 2050 verdoppelt und der Planet an seine Grenzen stößt,
müssen Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch entkoppelt werden. Glaubt
man den bisher kursierenden Zahlen, hat dieser Prozess in höher entwickelten
Ländern bereits begonnen. Durch effizientere Technologien, Recycling-Prozesse
und die Zunahme des Welthandels sind Länder wie Deutschland für jede
zusätzliche Einheit Bruttoinlandsprodukt auf immer weniger natürliche
Ressourcen angewiesen, um ihr Wachstum zu treiben. Das ist der Schlüssel zu nachhaltigem
Wachstum. Wiedmann und seine Kollegen aber warnen: Dieser als „relative
Entkopplung“ von Wachstum und Ressourcenverbrauch bekannte Prozess ist nach
ihren neuen Berechnungen viel kleiner als bislang angenommen, und in einigen Ländern
findet er noch überhaupt nicht statt.
Materieller Fußabdruck: Die ehrlichere Berechnungsmethode
„Mit den aktuellen Messgrößen
sind Regierungen nicht in der Lage, ihren tatsächlichen Ressourcenverbrauch zu
messen“, sagt Wiedmann. Weniger Umweltschäden für jedes Prozent
Wirtschaftswachstum – das ist offenbar noch frommes Wunschdenken. Für die
Berechnungen entwickelten er und Kollegen der nationalen australischen Wissenschaftsagentur
CSIRO, der Universität Sydney und der kalifornischen Universität in Santa
Barbara ein neues Modell, mit dem sie den Fluss von Rohstoffen in der
Weltwirtschaft über einen Zeitraum von 18 Jahren und so den „materiellen
Fußabdruck“ von fast allen Ländern der Erde messen konnten. In 2008 wurden
demnach weltweit 70 Milliarden Tonnen Rohstoffe abgebaut – die Autoren zählen
dazu Eisenerze, Biomasse (also etwa Holz), fossile Brennstoffe und Mineralien.
Zehn Milliarden Tonnen wurden direkt gehandelt. In die gewöhnlichen
Berechnungen des Ressourcenverbrauchs fließt allerdings nicht die Menge an Rohstoffen ein, die für
Förderung und Transport benötigt werden. Das waren den Berechnungen zufolge im
gleichen Jahr 29 Milliarden Tonnen. Damit gehen zwei Fünftel der weltweiten
Rohstoffe allein für den Export von Gütern und Dienstleistungen drauf.
Ressourcenverbrauch wächst proportional zum Bruttoinlandsprodukt
Weil diese Menge nie das
Herkunftsland verlasse, werde sie nicht adäquat mit berechnet, schreiben die
Autoren. Wenn ein deutscher Zulieferbetrieb für die Autoindustrie eine Tonne
Stahl verarbeitet, verbraucht er weit mehr als nur eine Tonne Stahl, so das
Argument. Das Konzept ähnelt dem des CO2-Fußabdrucks, der die bei Produktion
und Transport eines Produkts anfallenden Emissionen mit berechnet und der in
der Klimapolitik viel diskutiert wird. Als Alternative zu gängigen
Berechnungsmethoden wie dem inländischen Materialverbrauch schlägt Wiedmann nun
vor, den „materiellen Fußabdruck“ zum Standard bei der Berechnung des
Ressourcenverbrauchs zu machen. Um ihn zu ermitteln, multiplizierten er und
seine Kollegen die Nachfrage eines Landes nach Gütern und Dienstleistungen in
einem Jahr mit Multiplikatoren, die alle für den Endverbrauch benötigten
Materialien repräsentieren. Diese Größen ermittelten sie mit einer gigantischen
Menge an Daten, in der Transaktionen von fast 15.000 Industriesektoren in 186
Ländern erfasst sind. Darin zeigt sich: In allen betrachteten Industrieländern
wächst der Ressourcenverbrauch annähernd proportional zum Bruttoinlandsprodukt,
wenn man den materiellen Fußabdruck zugrunde legt. Von relativer Entkopplung
ist dann keine Spur mehr. In absoluten Werten sind die USA der mit Abstand
größte Importeur von Rohstoffen, die in gehandelten Gütern stecken, und China
der größte Exporteur.
Eine unwahre Geschichte
Die Berechnungsmethode steht nun
für jeden bereit, und die Ergebnisse scheinen eindeutig zu sein: Die
Entkopplung von Wachstum und Ressourcenverbrauch und dessen negativen
Umweltfolgen ist eine unwahre Geschichte – und wird es erst einmal bleiben. Viele,
die einen Hoffnungsschimmer für eine nachhaltigere Wirtschaft sahen, werden
jetzt also enttäuscht. Die Arbeit beginnt von Neuem.
Mehr zur Studie (engl.):